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Anti-Gewalt-Trainings | Gewaltaufarbeitung

Anti-Gewalttrainings werden meist als Maßnahmen der Jugend- bzw. Straffälligen und Bewährungshilfe eingesetzt. In vielen Fällen erfolgt die Teilnahme auf Weisung durch das Jugendamt oder Gerichte bzw. wird im Rahmen einer Haftstrafe vollzogen. In einzelnen Fällen regen auch Schulen bzw. Jugendarbeiter_innen die Teilnahme an Anti-Gewalt-Trainings an. 90 bis 95 Prozent der Anti-Gewalttrainings werden von Jungen/Männern besucht und sind jungen/männerspezifisch angelegt.

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> Genderaspekte und -empfehlungen
> Beispiele

Wie arbeiten Anti-Gewalt-Trainings?

Antigewalttrainings umfassen Übungsformen und Settings, in denen sich die Klient_innen direkt mit ihren Mustern des Aggressions- und Gewalthandelns auseinandersetzen. Weitgehend übereinstimmend hat man inzwischen festgestellt, dass die frühen (und weithin vermarkteten) Methoden des sog. „heißen Stuhls“ mitunter auf falschen Grundannahmen beruhten und nicht selten hoch problematische Verläufe verursachten. Denn diese Verfahren setzten direkte Provokationen, Beleidigungen, und Beschämung ein, um die Teilnehmer_innen sozusagen provokations-fest zu machen. Dergleichen Vorgehen ist aber mit einem menschenrechtsbasierten Zugang nicht vereinbar. Vor allem aber wurden bei genauer Betrachtung Auswirkungen festgestellt, die dem eigentlichen Ziel zuwiderliefen, so dass diese Ansätze in der ursprünglichen Form zunehmen weniger angewendet werden.

Zeitgemäße Maßnahmen der Gewaltaufarbeitungen und des Trainings von akuter Gewaltvermeidung gehen kontextuell und systemisch vor, und sie sehen völlig von Beschämung und Provokation ab. Das Ziel ist es nämlich, die jungen Menschen in die Lage zu versetzen, die tief verankerten Mechanismen der sozialen Selbstausgrenzung und des Wut-Agierens selbst zu reflektieren und in der Gruppe zu bearbeiten. Gleichzeitig werden zentrale Persönlichkeits-Kompetenzen der Affektkontrolle, emotionale Intelligenz, Empathie und der persönlichen Reflexions- und Beziehungsfähigkeit gestärkt und nachsozialisiert.

Die einzelnen Arbeitsphasen
Für Gewaltaufarbeitung und Antigewalt-Trainings wird zumeist ein Gruppensetting gewählt. In den ersten vorbereitenden Sitzungen der Intervention wird viel Aufmerksamkeit darauf verwendet, ein Klima des gegenseitigen Vertrauens und der verbindlichen Beziehung zwischen den Teilnehmer_innen und zu den Sozialtherapeut_innen zu ermöglichen. Hierfür ist ein prozessoffenes, beteiligungsintensives und auf Freiwilligkeit beruhendes Miteinander notwendig, in dem der erzählende Austausch über biographische und lebensräumliche Themen der Einzelnen stattfinden kann. Oft bereiten Einzelgespräche die anspruchsvolle Gruppenarbeit vor.

Neben dem gemeinsamen Nachdenken über die Umstände des Aufwachsens in der eigenen Familie kommt auch dem Erzählen über die Freunde große Bedeutung zu. Was ist bestimmend für das Leben mit den Gleichaltrigen in der Clique? Wie ist es mit denen, die nicht dazu gehören und angefeindet werden? Welche Einstellungen und Ressentiments herrschen? Gibt es Führer/Leitungsfiguren? Inwiefern verhalten sie sich fair, gewaltsam oder intrigant? Gibt es Zwänge – Handlungszwänge oder ideologisierte Denkzwänge? Was daran fühlt sich gut an, was ist zwiespältig? Wer hilft einem dort? Wie beim Thema Familie, so geraten die Teilnehmer_innen erfahrungsgemäß auch bei diesen Fragen sehr rasch dahin, dass die thematischen Felder ‚Gewalt‘, ‚Extremismus‘ und ‚Fundamentalismus‘ bzw. menschenfeindliche Handlungen/ Einstellungen berührt werden.

Im Vorfeld dessen sind sehr häufig Erfahrungen des Gewalterleidens, der Demütigung und der Ohnmacht (vor allem auch in der eigenen Herkunftsfamilie) zu verzeichnen, die mit psycho-traumatologisch versierter Vorsicht angesprochen und nicht vermieden werden. Dabei ist besonders bei jungen Männern – aber auch bei Frauen und Mädchen – die Abwesenheit, Unerreichbarkeit bzw. Gewalttätigkeit der Väter häufig von Bedeutung, wie auch Umstände des häufigen Orts- und Partnerwechsels von Elternteilen, oder deren psychische Erkrankungen, Drogensucht, und Überforderung. Bei jungen Frauen kommen nicht selten auch Erlebnisse der sexualisierten Gewalt/Grenzüberschreitung hinzu. Diese Erfahrungsbereiche werden auch ergänzend im Einzelgespräch erschlossen und in seiner Bedeutung für das spätere Gewalt- und Zerstörungshandeln erörtert. Diese vorbereitenden Phasen der biographischen Ergründung werden manchmal durch Formen der Genogramm- oder Familienfoto-Arbeit unterstützt.

Die Grundhaltung, von der die Trainer_innen/ Sozialtherapeut_innen hierbei geleitet sind, ist eine der kritischen Zugewandtheit, die gleichzeitig von unbestechlichem Be- und Hinterfragen wie auch von persönlicher Zuwendung und Wertschätzung geprägt ist. Hierbei werden einerseits das Verhalten und die Meinungen der Teilnehmer_innen kritisch hinterfragt, und die jeweils tätige Fachkraft positionierte sich klar. Andererseits wird die Person der Teilnehmer_in vorbehaltlos respektiert und in ihrem Bemühen um Klärung und Aufarbeitung geschätzt und unterstützt. Diese beiden unterschiedlichen Verhaltensstrategien beinhalten keinen Widerspruch – etwa zwischen einem akzeptierenden und einem konfrontativen Ansatz. Vielmehr stellen sie zwei sich gegenseitig bedingende und ergänzende Register dar, die in sorgsamer Anpassung an die jeweils vorliegende Situation zum Einsatz kommen.

Im Zentrum der Interventionsform steht die therapeutische Bearbeitung von akuten Handlungsszenen der Gewaltausübung und unkontrollierten Eskalation. In der Gruppe oder im Einzelverfahren den Hergang einer eigenen Gewalttat genau zu rekonstruieren, erweist sich für alle Beteiligten als große emotionale, gedankliche und sprachliche Herausforderung. Denn hierbei geht es darum, alle einzelnen Schritte, in denen die Tat sich anbahnte und begangen wurde, nachzuvollziehen und ausführlich zu besprechen. Weil dabei stets die persönlichen Grenzen des Erträglichen berührt werden, wählen die Trainer_innen auch hier kein provokatives, sondern ein überaus Grenz-sensibles Verfahren.

Im weiteren Verlauf werden Übungen der Selbst- und Körperwahrnehmung angeboten und Hilfsmittel der Selbstkontrolle in brisanten Situationen erlernt. Sie ermöglichen es, die körperlich-emotionalen Anzeichen einer sich anbahnenden Gewalteskalation im eigenen Befinden genau wahrzunehmen. Bestimmte mentale und Verhaltensübungen haben das Ziel, den Ausgang aus Situationen mit eskalativer Dynamik zu ermöglichen. Hierbei mag es sich um emphatische Gesten der Distanzierung, Zurückweisung und Wegbewegung aus akuten Szenen handeln. Oder auch um gedankliche Fantasien (z.B. zu Familie, ggf. der Mutter, schöne Orte, Visionen von Zukunftszielen), deren Evokation eine momentane Beruhigung erzeugen und den Ausbruch von Gewalt verhindern. Diese mentalen und Verhaltensübungen können erlernt werden, ohne dass ein intensives Provokationstraining in Anschlag gebracht werden muss.

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Genderaspekte und -empfehlungen

An keiner anderen Stelle zeigt sich die Relevanz von gender-orientiertem Arbeit so sehr wie in der Gewaltaufarbeitung und in der Arbeit mit den emotionalen und gedanklichen Hintergründen, die das Gewalthandeln biographisch bedingen und akut hervorbringen. Eine/n Extremist_in oder Gewaltstraftäter_in, der/die nicht auch sexistisch und homophob eingestellt wäre und im persönlichen Bereich durch Konflikt- und spannungsreiche Gender-Thematiken gekennzeichnet wäre, gibt es nicht. Diese Themen sind stets koexistent.

Hinzu kommt, dass es sich hierbei nicht nur um eine empirische Koinzidenz von Charaktermerkmalen handelt, sondern dass konflikthafte mentale Dynamiken in der eigenen Gender-Identität einen zentralen Bestandteil der akuten Motivation für extremistisches und Gruppenhass-orientiertes Handeln darstellen. Aus diesem Grund sind die unterschiedlichsten – miteinander verfeindeten – Varianten von gewalttätigem Extremismus stets gleichermaßen gegen selbstbestimmte Frauen und homosexuelle Personen gerichtet. Umgekehrt zeigen britische Kriminal-Kartographien, dass diejenigen Stadtbezirke, in denen viele gender-basierte Konfliktlagen bestehen (was z.B. an der Rate der Zwangsehen, Ehren-Delikte und der Frequentierung von Frauen- und Männerhäusern bemessen werden kann), auch diejenigen Bezirke sind, in denen eine hohe Dichte von militant-extremistischen Äußerungsformen besteht.

Für die Gewaltaufarbeitung mit jugendlichen und erwachsenen Frauen spezifisch kennzeichnend sind die Thematiken Selbstverletzung, Essstörung, sowie sexualisierte Gewalt, die zwar unter jungen Männern auch zu verzeichnen sind, jedoch weniger häufig (und dafür aber ggf. schwieriger anzusprechen sind). Eine weitere gender-bedingte Thematik ist die geringe soziale Stellung, die jungen Frauen in vielen Herkunftsmilieus inne haben und die dazu führen, dass die jungen Frauen vermehrt durch kriminelles und gewaltsames Agieren die Anerkennung der Gruppe zu erlangen versuchen. Weiterhin fällt in der Arbeit mit jungen Frauen auf, dass sie häufig subtile Formen der passiv-aggressiven Provokation praktizieren, die andere (junge Männer) zu Taten initiieren, und dabei nicht selbst als Täterin erkennbar sind.

Es üben deutlich mehr Jungen/Männer physische Gewalt aus als Mädchen/Frauen. Allerdings werden Frauen, die Gewalt ausüben, von Polizei und Pädagog_innen auch übersehen bzw. nicht ernstgenommen. Man traut ihnen scheinbar keine Brutalitäten und Militanz zu. Das nutzen rechtsextreme und islamistische Organisationen aus, indem sie Frauen strategisch einsetzen, auch für Gewalthandlungen (Verprügeln von „linksorientierten Zeckenmädchen“, Transport von Waffen und Sprengstoff u.a.). Jugendämter, Polizei und Justiz müssen zu Formen der Gewaltausübung von Mädchen / Frauen sensibilisiert werden. Es muss ein Verständnis dazu hergestellt werden, dass Anstiftung und Aufruf zu Gewalt, verbale Attacken, starke gruppierungsbezogene Ablehnung und Hassäußerungen und deren Verbreitung im Kontext von rechtsextremen Orientierungen und militanten-religiösem Fundamentalismus ebenfalls Ausdruck von Gewalthandeln sind und damit stärker geahndet werden müssten.

Oft bieten Träger gerade für junge Frauen Anti-Gewalt-Trainings in Einzelsettings an, nicht zuletzt um den geringen Fallzahlen gerecht zu werden. Organisationen, die Gruppentrainings für Mädchen anbieten, haben teilweise Schwierigkeiten ihre Mindestteilnehmerinnenzahl zu erreichen. Da das Gewalthandeln von Frauen weniger ernstgenommen und bestraft wird, haben Gewalttäterinnen einen geringeren äußeren Druck zur persönlichen Weiterentwicklung und Veränderung.

Neben der Sensibilisierung zu Formen weiblicher Gewalthandlungen im Kontext von Rechtsextremismus und militanten-religiösem Fundamentalismus müssen verstärkt mädchen-/frauenspezifische Anti-Gewalt-Trainings (etwa im Rahmen der familienorientierte Hilfen/siehe die Arbeitsfeld Beschreibung dazu) angeboten werden. Die Trainings und Einzelfallhilfen sollten die Persönlichkeits-Stärkung von jungen Frauen mit der Reflektion der eigenen Gender-Identität und bestehenden Gender-Konflikten mit den ideologischen Vorstellungen und der persönlichen Gewaltaufarbeitung verbinden.

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Beispiele

Denkzeit-Gesellschaft e.V.
IMMA e.V.Initiative für Münchner Mädchen
ifgg – Institut für genderreflektierte Gewaltprävention
Violence Prevention Network