Wenn (junge) Frauen und Männer sich dem Rechtsextremismus oder dem religiösen Fundamentalismus (von muslimischer oder christlicher Ausprägung) zuwenden, sind Erfahrungen und Einstellungen aus dem Bereich Gender und Geschlechterrollen ein bedeutsamer Faktor, der sowohl die ideologische Gesinnung als auch den affektiven Antrieb zur Tat bestimmen.
Verhaltens- und Einstellungsaspekte des Bereichs Gender- sollten deshalb auch bei der Konzeption von der Distanzierung/Deradikalisierung mit einbezogen werden.
Ebenen einer genderbewussten Perspektive
Geschlechtsspezifische Ideologien und Strategien von Extremist_innen Dazu gehören traditionelle teilweise vormoderne Rollenvorstellungen, die prägend für die jeweiligen Ideologien sind oder das Nicht-Wahrnehmung von Gewalt- affinen, -fördernden und -tätigen Frauen in extremistischen Kontexten. Frauen sind das „harmlose“ Gesicht von Extremismus und werden als solche auch strategisch eingesetzt. Sie ermöglichen, wie im Fall der terroristischen Gruppe NSU, sich einen „bürgerlichen“ Anschein zu geben.
Doing Gender in rechtsextremen und religiös fundamentalistischen Zusammenhängen Zum einen sind konfliktreiche Gender-Thematiken eine der Ursachen dafür, dass junge Männer und Frauen, sich extremistischen Szenen zuwenden. Dazu gehören etwa starre Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen sowie Hetero-Sexismus und Homophobie. Aber auch die Möglichkeit der Selbstermächtigung über extremistische Aktivitäten. Darüber hinaus gibt es geschlechtsspezifische Formen der Beteiligung von jungen Männern und Frauen und geschlechtsspezifische Aufgabenverteilungen und Themenbesetzungen.
Maßnahmen einer genderbewusste Prävention und Intervention Distanzierungsprozesse sollten genderbewusst angelegt sein. Junge Frauen und Männer sind an unterschiedlichen Orten für die Distanzierung ansprechbar, sie brauchen unterschiedliche Zugänge und Unterstützungsangebote. Jugend- und Familienhilfe muss stärker in den Blick genommen werden. Dabei ist auch das gesellschaftliche Umfeld von Bedeutung: Je stärker stereotype Rollenvorstellungen zu Männlich- und Weiblichkeit sowie Sexismus und Homophobie auch in den jeweiligen Milieus aus der „Mitte der Gesellschaft“ vertreten sind, umso mehr wird die Entwicklung von extremistischen Haltungen in diesem Bereich befördert.
Genderbewusste Pädagogikansätze
Grundvorraussetzung für eine genderbewusste Pädagogik ist zum Einen die Analyse der Lebenslagen von Mädchen und Jungen vor Ort bzw. im eigenen Arbeitskontext, zum Anderen die Reflektion eigener (Geschlechter-) Rollen der jeweiligen pädagogischen Fachkraft. In der praktischen Arbeit gibt es verschiedene Ansätze:
Genderreflektierte Koedukation In gemischten Gruppen geht es darum miteinander Geschlechterstereotype („So seid ihr Jungs!“ „So seid ihr Mädchen!“), Ungleichwertigkeitsvorstellungen und Hierarchien abzubauen. Gesellschaftlichen Normen bzgl. Geschlechterrollen und des Geschlechterverhältnisses werden diskutiert. Im besten Fall wird es in heterogenen Gruppen ab dem Kindergarten als Gestaltungsprinzip genutzt, um kritisch über Geschlechtszuschreibungen und Rollen nachzudenken und geschlechterdemokratische Verhaltensweisen einzuüben.
Geschlechtsspezifisch: Mädchenarbeit Mädchenarbeit hat sich im Kontext der zweiten Frauenbewegung der 1960er und 70er entwickelt. Es geht darum durch spezifische Angebote in Schutzräumen mit Begleitung durch Pädagoginnen weibliche Identitäten und das Selbstbewusstsein zu stärken und dabei geschlechtsspezifische Benachteiligungen abzubauen. Dabei kann es sich handeln um a) erlebnispädagogische Angebote für Mädchen in gemeinhin Jungs- bzw. Männerdominieren Betätigungsfeldern (z.B. Bandworkshops, Fußball, RAP, Breakdance, Skateboarding von und für Mädchen usw.) und b) um problemzentrierte Angebote, die sich mit mädchenspezifischen Gefährdungslagen (öffentlicher Raum, sexuelle Gewalt) und Benachteiligungen („Mein Bruder darf viel mehr als ich“) auseinandersetzen.
Geschlechtsspezifisch: Jungenarbeit Es gibt zwei Richtungen von Jungenarbeit. Die eine Richtung ist Genderreflektiert angelegt und will gesellschaftlich oder medial dominierte eindimensionale Männlichkeitsvorstellungen hinterfragen (wie z.B. „Männer das starke Geschlecht“ und Heteronormativität). Dabei geht es darum durch Interaktion und Rollenvorbilder unterschiedliche Männlichkeitsbilder anzubieten und gerade auch Jungen zu stützen, die eine Männlichkeit leben, die z.B. nicht auf physische Stärke und Durchsetzungskraft, Sport und Wettbewerb oder Heterosexualität ausgelegt ist. Dabei werden eigene Rollenvorstellungen und Erwartungen von Außen, die man auf Grund des Geschlechts an sich gerichtet fühlt, und damit verbundene Belastungen thematisiert. (siehe Praxisansätze / Projekte: „Neue Wege für Jungs“) Auch geht es um die Ablehnung von Schwulen bzw. LGBT- Menschen (Lesbisch/Gay/Bi-/Transsexuelle). Die zweite Richtung geht grundsätzlich davon aus, dass Jungen und Mädchen in ihren physischen und psychischen Grundbedürfnissen unterschiedlich sind und Jungen mehr in ihrer „Männlichkeit“ und in ihrem Bedürfnis nach körperlicher Betätigung bestärkt werden müssen. Dazu gehören Projekte, die etwa durch Kampfsport oder Erlebnisaktivitäten in der Natur, Jungs ermöglichen sich als „echte Kerle“ ausleben zu können und wesentliche „fair play“ und Konflikt-Regeln zu lernen.
Genderirritierend: Cross – Work In Cross-Work-Verfahren werden bewusst Pädagoginnen in Jungengruppen und Pädagogen in Mädchengruppen eingesetzt. Es geht darum Geschlechterrollenbilder zu irritieren (Frauen, die Fußballspielen, Skaten oder die Leitung über Jungengruppen in Erlebnispädagogischen Trainingscamps inne haben) und dabei neue Erfahrungen mit dem „Gegengeschlecht“ zu ermöglichen.
Wichtige Ebenen Genderbewusster Pädagogik:
- Konzeption/Leitbild von Institutionen
- Personalverteilung
- Räume und Ausstattung
- Zielgruppen und Angebote
- Strukturelle Rahmenbedingungen (genderbewusster Jugendhilfeplan, Netzwerk, Qualifizierung, genderbewusste Schule)